Die Legende der Jupitermonde

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da lebte der Gott Jupiter auf dem gleichnamigen Planeten. Er hatte zwei Söhne, Callisto und Ganymed und zwei Töchter, Io und Europa. Die fünf Götter lebten sieben Milliarden Jahre lang friedlich zusammen, bis sich sieben Milliarden Jahre nach der Geburt der Jüngsten, Io, ein Komet näherte.
Jupiter bemerkte dies schnell und warnte seine Kinder, die gerade fröhlich im Wasserstoffmeer spielten. „Callisto, Ganymed, Europa, Io“, rief er sie, „Eine große Gefahr nähert sich, ein großer, wütender Komet! Kommt und versteckt euch, ich will nicht, dass das Ungeheuer euch auch nur ein Haar krümmen kann!“ Die vier jungen Götter waren entsetzt über die Neuigkeit und folgten ihrem Vater in eine der vielen kraterförmigen Höhlen, die sich am Grunde des Wasserstoffmeeres befanden, wo der Druck den Wasserstoff zu einem festen, steinharten Material zusammenpresste. Währenddessen wollten sie lauter Fragen stellen, beherrschten sich jedoch alle vier, damit zu warten. Als sie, wie sie glaubten, sicher waren, ertrugen es die vier Kinder des Jupiter nicht mehr und wollten mehr wissen, drum fragte Europa: „Warum kommt der Komet gerade auf uns zu und fliegt nicht wie alle Anderen vorbei?“ „Weil er erbost ist“, antwortete Jupiter, „und sich rächen will.“ Da fragte Ganymed: „Warum ist er erbost, wir haben ihm doch sicherlich nichts zuleide getan!“ Jupiter sackte in sich zusammen und sagte: „Ihr nicht“ und seufzte, „Aber ich.“
Jupiter straffte sich wieder und fuhr fort: „Als ich noch in eurem Alter war, und das ist lange her, war ich nicht so friedlich wie ihr es glücklicherweise seid. Ich war grausam, stolz, unerfahren und viel zu mächtig für mein damaliges Alter, wie ich jetzt weiß. Eines Tages flog ein besonders großer, alter Komet vorbei und verneigte sich nicht, obwohl ich inzwischen durchgesetzt hatte, dass sich alle, außer meinem Vater, vor mir verbeugen mussten. Ich rief ihm zu: ‚Sei nicht frech, verbeuge dich!‘, doch er schaute nur angewidert weg. Das verärgerte mich, denn niemand durfte sich mir widersetzen, außer meinem Vater natürlich. Als der Komet auch nach mehrmaligem Befehl nicht mal Anstalten machte, sich zu verbeugen, nahm die Wut die Kontrolle über mich und ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, ich schmiss mit einigen Brocken des Wasserstoffgesteins und mehreren Flüchen nach ihm, woraufhin ein gutes Stück aus ihm herausbrach und er rief: ‚Das wirst du mir büßen, du wirst nicht ungestraft davonkommen!‘ Dann machte er sich wütend grollend von dannen.
Da dachte ich, ich hätte ihm meine Macht genug bewiesen, dass er sich solch ein Verhalten nicht noch einmal erlauben würde. Doch mich träumt es seitdem alle sieben Milliarden Jahre, dass er käme und den ganzen Planeten samt mir zerschmettern würde und sich der Staub in alle Richtungen verteilen würde, als hätte es den Namen Jupiter nie gegeben. Als ich genau diesen Kometen jetzt auf uns zurasen sah, ich erkannte ihn an der Narbe, wo ich ihm ein Stück herausgebrochen hatte, bekam ich es mit der Angst zu tun und habe euch in diese Höhle geholt, da sie die tiefste und härteste Höhle aller Höhlen ist, die es auf dem ganzen Planeten gibt.“ Jupiter linste zum Höhlenausgang und sagte mit bebender Stimme: „Jetzt fürchte ich, dass er seine Drohung wahrmachen und mich zerschmettern will. Ich will aber die letzten Minuten meines Lebens mit euch verbringen, damit ich meine Angst besser im Zaum halten kann. Denn vielleicht kann ich mich, wenn meine Angst weder riechbar noch spürbar ist, der Komet nicht finden und zieht nur vorbei.“ Callisto, Ganymed, Io und Europa hatten während der ganzen Erzählung still und mit riesigen Augen und vor Schreck offenen Mündern dagesessen und zugehört, doch jetzt fragte Callisto: „Heißt das, dass wir dich bald verlieren? Wir sind aber alle vier noch zu jung, um die Verantwortung tragen zu können?“
Jupiter saß eine Weile nur da und sagte nichts, doch schließlich antworte er: „Ihr vier müsst ab jetzt erwachsen sein, denn lange werde ich wohl nicht mehr unter euch weilen.“ Dann umarmte er seine Kinder und sie setzten sich, Jupiter links, die Kinder rechts auf die uralten Stufen, die beidseitig in die Höhlenwände gemeißelt waren.
Nach einer ganzen Weile hörte man ein lautes Brutzeln, Fauchen und Brüllen, dann tat es einen gewaltigen Knall und Jupiter wurde zusammen mit einer gewaltigen Menge von Trümmern ins Weltall geschleudert.
Als Jupiter wieder erwachte, dachte er, all das sei wieder nur ein Traum gewesen, doch da merkte er, dass Callisto, Ganymed, Io und Europa nicht in seiner Nähe waren. Er stürzte sich in die aufgewühlte Atmosphäre zurück, um sie zu suchen, doch er fand sie nicht. Als er sieben Jahre lang unaufhörlich gesucht und immer wieder ihre Namen gerufen hatte, gab er die Suche auf und begriff, was die Strafe des Kometen an ihn war: Er hatte Jupiter weder getötet, noch dessen Planeten zerstört. Er hatte Jupiter seines wertvollsten Schatzes, seiner Kinder, beraubt und ihn selbst noch am Leben gelassen, damit er das Ausmaß des Verlustes am schlimmsten spüren konnte. Jupiter begann zu weinen, niemand weiß genau, wie lange, bis dass er sich wieder einigermaßen gefasst hatte und aufstand, um der Nachwelt ein Denkmal zu setzen. Er brach vier große Stücke aus dem Tiefengestein heraus, formte sie mit Magie zu Kugeln und gab ihnen die Namen seiner Kinder:
Der ersten Kugel gab er den Namen Callisto und verlieh ihr ein sternenartiges Aussehen, weil Callisto die Sterne so gemocht hatte.
Der zweiten Kugel gab er den Namen Ganymed und verlieh ihr ein von hellen Streifen durchzogenes Aussehen, da Ganymed ruhig, aber trotzdem immer gut aufgelegt gewesen war.
Der dritten Kugel gab er den Namen Europa und verlieh ihr rote Streifen, weil sie diese Farbe immer so schön gefunden hatte.
Der letzten Kugel gab er den Namen Io und verlieh ihrem Angesicht ein buntes, farbenfrohes Aussehen, denn Io war immer am lebhaftesten gewesen.

Daraufhin warf er die vier Kugeln nacheinander in den Himmel, so dass sie in eine Umlaufbahn gerieten und flüsterte nicht überlieferte Worte zum Abschied. Danach legte er sich in die einzige Höhle, die der Komet übrig gelassen hatte und schloss seine Augen für immer.


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